Tuesday, December 20, 2011

°das hotel new hampshire°

doris wales war eine frau mit strohblondem haar, deren körper aussah, als sei er in salatöl getunkt worden; daraufhin mußte sie sich das kleid über den nassen leib gezogen haben. das kleid packte zu, wo es zu packen gab, und versackte in den falten und klüften ihres körpers; ein ganzer rattenschwanz von knutschflecken oder liebesbissen - "sauger" nannte sie franny - überzog doris' brust und hals, als hätte sie einen heftigen ausschlag; die flecken waren wie peitschenstriemen. von ihrem pflaumenblauen lippenstift hatten auch die zähne etwas abbekommen, und sie sagte zu sabrina jones und mir: "wollt ihr was heißes zum tanzen oder was schwüles zum schmusen? oder beides?"
"beides", sagte sabrina jones, ohne zu zögern, aber ich war mir sicher: wenn die welt aufhören würde, sich kriege und hungersnöte und andere gefahren zu leisten, so wären die menschen immer noch in der lage, einander in tödliche verlegenheit zu stürzen. unsere selbstvernichtung würde auf die weise vielleicht etwas länger dauern, aber ich bin überzeugt, sie wär nicht weniger vollkommen.


Monday, August 8, 2011

°die leichtfertigen°

jedes mal, wenn ich banshee beat von animal collective hörte, wurde mir bewusst, dass der mensch nicht nur dazu bestimmt war, leid und hässlichkeit auf der welt zu verbreiten. es regnete, es goss in strömen, aber diese musik wirkte wunder. man konnte gar nicht anders, als sein glas hinzustellen und zu tanzen - und gott zu danken, dass man weder kriege noch hungersnöte durchstehen musste -, sich in den hüften zu wiegen und ein zufriedenes lächeln aufzusetzen.
es wurde immer schwieriger, sich solche augenblicke zu gönnen. insgesamt war das leben, wie mir schien, eher etwas schmerzhaftes. ich hatte nicht jeden tag getanzt, wenn ich mich recht erinnerte. und da es nun einmal so war, ließ ich mich kurz von der musik mitreißen - und bewegte mich wie eine art wurm in einer steckdose-, während der regen über die terrassentüren rann. es war schon dunkel. was würde aus uns werden, sagte ich mir, wenn es keine musik gäbe? ich hatte eine flasche mit gutem weißwein geöffnet.
seit johannas tod hatte ich nicht ein einziges mal getanzt. nicht richtig getanzt. ich hatte judith nicht geheiratet, um zu tanzen, sondern um nicht zu verrecken. mehr hatte ich nicht verlangt. jetzt flog mir das alles um die ohren. tanzen tat manchmal wirklich gut. ich hatte nicht die absicht, mir zwang anzutun. ich war der einzige lebendige mensch in diesem haus. die musik drang mir von oben in den schädel, durchlöcherte meine füße und bohrte sich in den boden. über dem atlantik hingen schwere schwarze wolken. die aufeinanderprallten. die sich auf den horizont legten. und wenn das stück zu ende war, spielte ich es noch mal ab, wieder von vorn.