Monday, January 2, 2012

°zu guter letzt°

doch jetzt musste er noch etwas anderes überprüfen. ein rosaroter vorhang teilte den raum. bevor er sich seiner mutter zuwenden konnte, musste er wissen, was sich dahinter verbarg. wie sich herausstellte, verhüllte der vorhang einen lagerbereich voller gerätschaften: eine graue metallkarre, ein paar nüchterne gummischläuche und ein riesiges goldkruzifix. was man zur einbalsamierung eines christen so brauchte. eleanor hatte erwartet, nach ihrem tod dann am ende eines tunnels jesus zu begegnen. der ärmste war ein sklave seiner fans und wartete nur darauf, scharen neugieriger toter die neonlandschaft zu zeigen, die jenseits des wiedergeburtskanals irdischer auslöschung liegt. es war gewiss ein hartes los, zum hauptklischee des optimismus auserkoren zu sein, zum licht am ende des tunnels, zum herrscher über ein funkelndes heer halb voller gläser und silberstreifen am horizont.

Tuesday, December 20, 2011

°das hotel new hampshire°

doris wales war eine frau mit strohblondem haar, deren körper aussah, als sei er in salatöl getunkt worden; daraufhin mußte sie sich das kleid über den nassen leib gezogen haben. das kleid packte zu, wo es zu packen gab, und versackte in den falten und klüften ihres körpers; ein ganzer rattenschwanz von knutschflecken oder liebesbissen - "sauger" nannte sie franny - überzog doris' brust und hals, als hätte sie einen heftigen ausschlag; die flecken waren wie peitschenstriemen. von ihrem pflaumenblauen lippenstift hatten auch die zähne etwas abbekommen, und sie sagte zu sabrina jones und mir: "wollt ihr was heißes zum tanzen oder was schwüles zum schmusen? oder beides?"
"beides", sagte sabrina jones, ohne zu zögern, aber ich war mir sicher: wenn die welt aufhören würde, sich kriege und hungersnöte und andere gefahren zu leisten, so wären die menschen immer noch in der lage, einander in tödliche verlegenheit zu stürzen. unsere selbstvernichtung würde auf die weise vielleicht etwas länger dauern, aber ich bin überzeugt, sie wär nicht weniger vollkommen.


Monday, August 8, 2011

°die leichtfertigen°

jedes mal, wenn ich banshee beat von animal collective hörte, wurde mir bewusst, dass der mensch nicht nur dazu bestimmt war, leid und hässlichkeit auf der welt zu verbreiten. es regnete, es goss in strömen, aber diese musik wirkte wunder. man konnte gar nicht anders, als sein glas hinzustellen und zu tanzen - und gott zu danken, dass man weder kriege noch hungersnöte durchstehen musste -, sich in den hüften zu wiegen und ein zufriedenes lächeln aufzusetzen.
es wurde immer schwieriger, sich solche augenblicke zu gönnen. insgesamt war das leben, wie mir schien, eher etwas schmerzhaftes. ich hatte nicht jeden tag getanzt, wenn ich mich recht erinnerte. und da es nun einmal so war, ließ ich mich kurz von der musik mitreißen - und bewegte mich wie eine art wurm in einer steckdose-, während der regen über die terrassentüren rann. es war schon dunkel. was würde aus uns werden, sagte ich mir, wenn es keine musik gäbe? ich hatte eine flasche mit gutem weißwein geöffnet.
seit johannas tod hatte ich nicht ein einziges mal getanzt. nicht richtig getanzt. ich hatte judith nicht geheiratet, um zu tanzen, sondern um nicht zu verrecken. mehr hatte ich nicht verlangt. jetzt flog mir das alles um die ohren. tanzen tat manchmal wirklich gut. ich hatte nicht die absicht, mir zwang anzutun. ich war der einzige lebendige mensch in diesem haus. die musik drang mir von oben in den schädel, durchlöcherte meine füße und bohrte sich in den boden. über dem atlantik hingen schwere schwarze wolken. die aufeinanderprallten. die sich auf den horizont legten. und wenn das stück zu ende war, spielte ich es noch mal ab, wieder von vorn.

Sunday, November 14, 2010

°der verlorene sohn°

sei froh, dass dir all das erspart bleibt, dylan, sei froh! vor allem die einsamkeit. manchmal ist sie prachtvoll, dann schwebst du auf papiernen schwingen über der welt, über allem und jedem, das ist eine einsamkeit, bei der es schade ist, kein publikum mit ahs und ohs zu haben! aber die andere einsamkeit gibt es auch, wenn du wie ein stein in der erde vergraben liegst, ganz allein, und niemand gräbt dich wieder aus. es kann dich geben oder auch nicht, du bist wie tot für die welt. mein optimismus, wenn man ihn als solches bezeichnen kann, besteht darin, dass ich kein drama daraus mache. dass ich mich weder vor der schwere noch vor der leichtigkeit verbeuge.

Sunday, October 24, 2010

°das echo der erinnerung°

seine tausend bruchstücke senden und empfangen noch, sie kommunizieren, doch nicht mehr miteinander. wörter sickern durch seinen kopf. mehr laute als wörter. du bist dran. du bist dran. nur eine tickende uhr, nichts geringeres als sein herz. laute zerfließen wie verschüttetes öl. du bist dran. dodge ram. ramm ihn, mann. alles dran. geißbock dann. fahr ihn an. mit dem ram. brems doch, mann. untergang. nächtelang. wörter rattern in seinem kopf, ein endloser güterzug. manchmal läuft er nebenher und schaut hinein. manchmal schauen wörter heraus und entdecken ihn.

Thursday, September 9, 2010

°der klang der zeit°

ich brauchte monate im glimmer room, bis ich begriff, dass die meisten menschen von der musik keine erhabenheit, sondern einfach nur gesellschaft wollten; sie wollten eine melodie genauso erdenschwer wie sie selbst, fröhlich unter der drückenden last des daseins. letzten endes wünschen wir uns, dass unsere freunde so unbedarft sind wie wir selbst. unter allen melodien leben nur die für immer in den herzen der hörer, die uns vergessen lassen.

lange zeit stand er so am fenster, ohne ein wort. und auch ich brachte es nicht fertig, etwas zu sagen. aber jonah war mein bruder. es gab nichts, was wir nicht im laufe unseres lebens gemeinsam getan hatten. wir kannten nichts von der welt außer einander. er hatte es mir beigebracht und ich ihm: alle musik lebte und starb in den pausen dazwischen.

Monday, July 19, 2010

°plasticiens volants°


zu gast in köln.